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Freundliche Übernahme

 Von den Erfahrungen, ein Buchhändler sein zu dürfen (ein paar Stunden)

Ein Bericht von Christoph Müller

Irgendwie fehlte es noch in meinem Portfolio. Als neugieriger Leser gehe ich seit Kindesbeinen an in Buchhandlungen, um dort neuen Lesestoff zu bekommen. Als jemand, der seit bald 30 Jahren journalistisch arbeitet, weiß ich darum, welche Mühen manchmal mit dem Schreiben verbunden sind. Als Redakteur einer Fachzeitschrift ist das Miteinander mit den Autoren manchmal mühsam. Nun hatte ich im Kontext der „freundlichen Übernahme“ die Möglichkeit, einmal in die Rolle des Buchhändlers zu schlüpfen. Der Buchhändler meines Vertrauens, Philipp Seehausen, war nach Kassel gereist, da er für den Deutschen Buchhandlungspreis 2018 nominiert war. Kunden machte er für einen Tag zu Buchhändlern, damit der eigene Laden nicht verwaist.
Als Philipp Seehausen mich ansprach, ob ich Lust hätte, in die Rolle des Buchhändlers zu schlüpfen, habe ich spontan zugesagt. Dass er ein großes Vertrauen zu den Menschen hat, die ihn als den Buchhändler des Vertrauens ansehen, steht spätestens seit dieser Aktion außer Frage. Vor allem muss er ja die Gelassenheit haben, dass ich (und natürlich auch andere Mitstreiterinnen und Mitstreiter) ihm nicht andere Kunden vergraulen.
Nun bin ich um diese Erfahrung reicher. Es waren zwar nur wenige Stunden in der Buchhandlung am Paulusplatz. Doch machte es großen Spaß. Da waren die Kunden, die anriefen und nach einem bestimmten Titel fragten. Sie wollten unbedingt sofort das Buch in der Hand halten. War der nahende Feiertag und damit etwas Zeitpolster zum Lesen Grund dafür, dass die Menschen eine unmittelbare Erledigung ihrer Anfrage wünschten? Hatten die Menschen verschlafen, frühzeitig ein Geschenk für eine Feier zu besorgen? Eine Antwort hatte ich nicht bekommen.
Dies war nicht nötig. Schließlich machte es viel Spaß, die Menschen zu beobachten, die in die Buchhandlung kamen. Dort kam die ältere Dame aus der Nachbarschaft, die einfach nur Zeitschriften kaufte und einen kurzen Plausch wünschte. Dort kam die Frau, die zwar unmittelbar nach einem Titel fragte, der vorrätig war und sich dann in den Regalen mit der anthroposophischen Literatur verlor. Dort war die Jugendliche, die ausdauernd die Jugendliteratur in den Blick nahm, und schließlich mit einem Buch den Laden verließ, mit dem sie sich lange beschäftigen konnte.
Es gab aber auch den Mann aus der Nachbarschaft, der nur kurz einen Kaffee trank, mit uns plauderte und dann im Dunkel des Abends verschwand. Es gab auch die Frau, die lange unschlüssig vor dem Regal mit der Jugendliteratur stand, und es irgendwie nicht wagte, nach Hilfe zu fragen, um ein Buchgeschenk für die Nichte oder das Nachbarskind zu finden. Mir begegnete gleichzeitig der zielstrebige Leser, der ein Buch bestellt hatte und nach dem Bezahlen wieder in den eigenen Alltag zurückkehrte.
Bücher haben eine unglaubliche Vielfalt. Es gibt kaum ein Thema, zu dem es keine Literatur gibt. So verschieden wie die Bücher sind, so bunt ist auch die Kundenschar einer Buchhandlung. Diesen Eindruck hatte ich, als ich bei der „freundlichen Übernahme“ mitgemacht hatte. Diese Kundenschar ist eine suchende Gemeinschaft. Sie suchen nach Unterhaltung und Abstand vom Alltag, sie suchen nach Informationen und nach kurzen Diskussionen.
Vor den eigenen Bücherregalen stehe ich mit starken Gefühlen, da ja jedes Buch eine Geschichte mit mir hat. An der Theke der Buchhandlung stehe ich eher mit neutralen Emotionen. Hier ist das Buch eine Ware. Ich kann mir vorstellen, dass das Verbindende mit den Kunden viele Geschichten sind. Philipp Seehausen kann sie sicher erzählen. Ich kann nur meine Story erzählen, als ich wenige Stunden Buchhändler war.

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