Neulich saß ich in einem mit Buchhändlerinnen und Buchhändlern gefüllten Restaurant, um eine Vertreterlegende in den Ruhestand zu verabschieden sowie „nebenbei“ die großartige kanadische Krimiautorin Louise Penny kennenzulernen (hier „en passant“ meine wärmste Empfehlung ihrer Romane!). Mittendrin: Der quirlige Verleger Daniel Kampa. Auf die Frage, welche Perle wir in seinem Programm bisher übersehen haben, antwortete er prompt mit der Vorstellung der Novelle „Leb wohl, Mister Chips“.

Ich habe das Entdecken nachgeholt und halte das Buch nun selbst für ein wahres Kleinod. Mr. Chipping, von seinen Schülern Chips genannt, blickt auf sein Leben als Lehrer für Latein und Griechisch zurück. In über 40 Jahren hat er tausende Kinder unterrichtet und hat als Lehrer Einfluss genommen „auf die, die heranwachsen und ihre Rolle spielen werden in der Welt“. Die Welt hat sich zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und 1933 mehrfach gewandelt. Chipping führte ein recht gleichförmiges Leben und ist seiner konservativen Art in gewisser Weise treu geblieben. Dennoch hat er Wandlungen vollzogen.

Das Spektakuläre an dem Buch ist nicht so sehr die Handlung, sondern sind die viele kleinen eingeflochtenen Weisheiten. Ein zutiefst humanistisches Buch. Es ist geprägt von der Weltsicht, dass jeder Mensch positive Eigenschaften in sich trägt, die sich durch den Einfluss von Mitmenschen und Ereignissen aber auch durch die Arbeit an sich selbst entwickeln und zur Geltung kommen.

Der eingangs erwähnte Abend war auch durch die lebendigen Berichte der scheidenden Verlagsvertreterin geprägt. Sie ist unfassbar vielen Buchhändler*innen begegnet. Sie hat Einfluss genommen auf die buchhändlerischen Lesestapel und damit auch darauf, was Sie gelesen haben. Wir können den Wert guter Begegnungen (und Bücher!) auf die Geschicke der Menschen nicht genug schätzen. Das hat mir die Lektüre nochmal vor Augen geführt. Danke, Mr. Chips!

Ein Buchtipp von Philipp Seehausen

(Veröffentlicht im Journal des General-Anzeigers Bonn am 06.04.2024)